Kreuzwegandacht von 2020 - Seelsorgeraum Am See

Einleitung

(vorbereitet von Pfarrer Michael Wüger)

Der Karfreitag 2020 ist anders.
Wir erfahren ihn nicht wie sonst.
Not, Leid, Krankheit, Angst und Entbehrlichkeit
sind uns näher gerückt,
als wir es zu denken wagten.

Auf seinem Kreuzweg hat Jesus
die ganze Geschichte der Welt und der Menschheit mitgetragen:
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Alles liegt in seinen Händen, die das Kreuz umfassen.
Es ist das Kreuz der Welt.
Es ist unser Kreuz.
Es ist mein Kreuz.
Jesus nimmt es an.
Er nimmt Not und Leid der gegenwärtigen Zeit auf sich.
Er verlässt uns nicht.

So ist der Karfreitag ein Tag der Hoffnung,
an dem die Liebe den Tod bezwingt,
die Finsternis dem Licht weicht
und Gottes Wort uns Mut und Trost zuspricht.

Aus dieser Hoffnung heraus wollen wir betend den Kreuzweg gehen.

1. Station: Jesus wird zum Tode verurteilt

(vorbereitet von Johannes Franck)

Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich. Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

Bibelvers (Joh 3,17)
Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.

Gedanken
Wir sind schnell damit, auf jemanden mit dem Finger zu zeigen. Wie petzenden Kindern mit ihrem „Er war’s!“ oder „Sie hat das angestellt!“ fällt es uns leichter, die Schuld anderen in die Schuhe zu schieben, als unsere Fehler selbst zuzugeben. Besser, die anderen kommen in Verruf als ich selbst.
Bei Jesus ist es umgekehrt: Er steht unschuldig vor dem Richter. Nicht wegen seiner Fehler wird er verurteilt, sondern wegen unserer. Er hat nicht die anderen angepatzt oder versucht, sich herauszureden. Obwohl er nichts falsch gemacht hat, nimmt er die Fehler aller – auch jener, die mit dem Finger auf ihn zeigen – auf sich.

 

Meditation
Warum, worin bestand seine Schuld?
Oder anders gefragt: Wem war er im Weg?
Er raubte kein Geld, kein Land,
stürzte keinen vom Thron,
zog nicht in den Krieg,
schrieb nicht einmal Bücher.
Er sah, wie man weiß, weder Rom noch Athen.
Aber er sah seinen Vater im Himmel und
sah auf der Erde die Menschen im Dunkel
und lehrte sie sehen mit anderen Augen.
Er heilte die Kranken, rief Tote ins Leben.
So zog er umher und warb um die Herzen
und sprach von der Liebe,
dem Königreich Gottes.
Er starb, wie er lebte,
und lebte, wie er starb:
mit ausgebreiteten Armen.

Lothar Zenetti (gekürzt)

2. Station: Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern

(vorbereitet von: Franziska Klein)

Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.
Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

Bibelvers (Mt 11,28)
Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken.

Gedanken
„Mühselig und beladen“ – so sind unsere Tage zurzeit. Weltweit. Menschen leiden, Menschen sterben, Menschen weinen und trauern, Menschen haben Angst – auch ich. Es ist eine Zumutung. Das Kreuz unserer Tage. Eine Leidensgeschichte.
Mut brauchen wir. Zuversicht brauchen wir, dass wir diese Tage ertragen. Hautnah. In den Häusern und Wohnungen. In unseren Familien, an den Arbeitsplätzen, in der Arbeitslosigkeit, vor allem aber in den Spitälern und an den Gräbern.
Der Mann aus Nazareth, Jesus, lässt sich vom auferlegten Kreuz nicht unterkriegen. Er hält es aus. Er kennt seine Jünger. Er kennt sie, dich und mich. Sein Zuspruch: Kommt alle zu mir! Ich will euch aufrichten. Ich bin bei euch!

 

Meditation
Tröste mich Gott, ich bitte Dich,
was immer es sei, ich kann es gebrauchen.
Worte, Klänge, Hoffnung auf Leben,
sich öffnende Knospen vor ihrer Zeit –
alles was gut ist.
Es gibt ein Versprechen für Leute wie mich
von der Seligkeit aller Leidenden und
der Freudenernte der Weinenden, so heißt es,
hast Du es gesagt.
Stimmt das?
Wie soll das denn möglich sein Gott,
dass Schmerzensschreie zu Lachen werden
und Tränen zu Perlen und Schwerter zu Pflugscharen,
das ist sehr schwer zu glauben, findest Du nicht?
Aber schön wäre es Gott.
Wunderschön.

(Carola Moosbach, in: Gottflamme Du Schöne. Lob- und Klagegebete)

3. Station: Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz

(vorbereitet von: Desirée Fleischhacker)

Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.
Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

Bibelvers (Jes 53, 3-4)
Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht. Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt.

Gedanken
Jeder kennt sie – Gefühle von Trauer, Not, Bedrücktheit, Niedergeschlagenheit, Schmerz. Das Gefühl, keine Kraft mehr zu haben, um weiterzumachen und wieder aufzustehen. Jesus fällt unter dem Kreuz, die Last ist zu groß. Es ist der Glaube, der ihm hilft, aufzustehen, weiterzugehen und für uns die Last des Kreuzes zu tragen. Jesus kann ein Vorbild für uns sein. Das Leben bringt oft Schicksalsschläge wie Krankheit, Naturkatastrophen, Kriege und Seuchen sowie alltägliche Probleme wie Streit, Hass und Missgunst mit sich. Das Gebet und der Glaube können in diesen Zeiten Trost und Halt geben, denn:
Gott hilft uns nicht immer
am Leiden vorbei,
aber er hilft uns hindurch.
Johann Albrecht Bengel

Meditation
Wenn wir am Ende unserer Kräfte sind,
nicht mehr weiterkönnen
und nichts mehr hilft,
dann, mein Gott,
gehst du nicht nur mit,
sondern
du nimmst uns in die Arme,
hebst uns auf,
trägst uns,
ein Stück des Weges,
wenn nötig
bis zum Ziel.

(aus: Pray! Das Jugendgebetbuch)

4. Station: Jesus begegnet seiner Mutter

Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.
Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

Bibelvers (Lk 1,30-33)
Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben.

Gedanken
Wie jeder Mensch ist Jesus in einer Familie aufgewachsen. Die Evangelien berichten mehrmals über die wichtige Beziehung von Jesus und seiner Mutter. Geborgenheit und Loslösung, der Weg in die Eigenständigkeit und Unverwechselbarkeit des persönlichen Lebensweges zeichnen sich ab. Auf dem letzten Weg Jesu, seinem Leidens- und Todesweg, ist seine Mutter präsent und trägt in ihrer Liebe sein Leid mit. Sie kann nichts ändern, sie kann nur ihre Anteilnahme spürbar werden lassen. Wie oft müssen auch heute Mütter und Väter das Kreuz ihrer Kinder miterleben, ohne eingreifen zu können. Wenn Ehen zerbrechen, wenn Süchte das Leben junger Menschen zerstören, wenn Arbeitslosigkeit den Lebenssinn bedroht, wenn psychische und physische Leiden das Leben Jugendlicher überschatten. Wo Geborgenheit und Verlässlichkeit nicht erlebt werden, wo Gewalt, Streit und Ablehnung zu den Grunderfahrungen gehören, da werden Familien zur Ursache belasteter Entwicklungen, die oft einen negativen Verlauf nehmen.
Jeder und jede von uns ist eingeladen, sich zu fragen: Was tue ich dazu, damit Familien zum Ort der Geborgenheit werden?

Meditation
Die für jeden Menschen entscheidenden Erfahrungen von Liebe und Angenommen-Sein, von Vertrauen, Verlässlichkeit und Sicherheit werden vor allem in der Familie grundgelegt. Familien sind der Ort der Geborgenheit. Doch auch negative Grunderfahrungen können in der Familie gemacht werden: Brüchigkeit der Beziehungen, Zurückweisung und Enttäuschung, Erfahrung physischer und psychischer Gewalt können für das Leben prägend werden und nach der Tragfähigkeit von Beziehungen fragen lassen.

Sozialwort 3, 70

5. Station: Simon von Zyrene hilft Jesus das Kreuz tragen

(vorbereitet von: Sr. Thekla)

Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.
Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

Bibelverse (Mt 27,31b-32 und Gal 6,2)
Dann führten sie Jesus hinaus, um ihn zu kreuzigen. Auf dem Weg trafen sie einen Mann aus Zyrene namens Simon; ihn zwangen sie, sein Kreuz zu tragen. (Mt 27, 31b -32)
Einer trage des anderen Last. (Gal 6,2)

Gedanken
Simon hilft Jesus unfreiwillig, gezwungen, das Kreuz zu tragen.
Niemand trägt gerne ein Kreuz – weder das eigene, noch das eines anderen. Wird man zum Kreuztragen nicht immer gezwungen?
Zur Zeit jedoch erfahren wir, dass Hilfsbereitschaft unter den Menschen wächst, dass einer für den anderen Sorge trägt und trachtet, dass es ihm gut geht, dass keiner auf der Strecke bleibt und alle eine gute und sichere Zukunft haben.
Keiner kann dem anderen die Last abnehmen, aber sie wird geringer, wenn wir einander helfen, sie zu tragen.

Gebet
Herr Jesus, mache uns bereit, einander zu dienen und zu helfen. Gib uns Kraft, wenn wir mutlos werden und blind sind für die Bedürfnisse unserer Mitmenschen.
Segne und stärke in unserer schwierigen Zeit der Krise die vielen Helferinnen und Helfer, die unermüdlich mit Rat und Tat den Menschen in Not beistehen und sich dabei oft selbst der eigenen Gefahr aussetzen.
Heiliger, starker und barmherziger Gott, erbarme dich unser und der ganzen Welt.

6. Station: Veronika reicht Jesus das Schweißtuch

(vorbereitet von: Michaela Sattler)

Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.
Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

Bibelvers (Mt 25,40)
Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.

Gedanken
Wir haben oft nicht den Mut, den ersten Schritt auf jemanden zuzugehen, weil wir fürchten allein dazustehen.
Veronika ist aufmerksam für die Not des anderen. Als Jesus erschöpft und am Ende seiner Kräfte ist, reicht sie ihm spontan und ohne großes Aufsehen ihr Tuch und wagt es die Mauern der Ordnung und des Hasses zu durchbrechen. Jesus sieht die Geste der Frau und geht auf das Angebot der Zuneigung ein. Er trocknet sein blutendes Angesicht. Wortlos nimmt Veronika das Tuch wieder in ihre Hände. Ihr Leben wird sich verändern.

 

Gebet
Gott wir bitten dich,
lass uns mutig Augen und Ohren öffnen, um zu erkennen,
wo sich Ungerechtigkeit, Gewalt, Unterdrückung und Leiden
in unserer Nähe ausbreiten.
Schenke uns Mut, Bereitschaft und Kraft,
dem aufzuhelfen, der am Boden liegt.
Kleine Zeichen können viel bewirken:
ein aufmerksames Zuhören,
ein Wort der Ermutigung,
Humor,
ein Besuch,
ein gütiger Blick,
ein kleiner Dienst.
Die Not des anderen ist Herausforderung an uns.

7. Station: Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz

(vorbereitet von: Cornelia Stranz)

Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.
Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

Bibelvers (Ps 145,14)
Der HERR stützt alle, die fallen, er richtet alle auf, die gebeugt sind.

Gedanken
In unserem Leben stehen wir manchmal vor Situationen, die uns ausweglos erscheinen, von denen wir glauben, es geht nicht mehr weiter. Schwierigkeiten, Angst, Schicksalsschläge, der Tod eines geliebten Menschen … Die Last, die wir tragen, scheint unsere Kräfte zu übersteigen und uns zu erdrücken. Wir sind dann an einem Punkt angelangt, an dem wir denken: Was bringt das alles noch? Macht das Leben eigentlich noch einen Sinn? Ich habe keine Lust und keine Kraft mehr. Aus! Fertig! Ich gebe auf.
Das Kreuz, die Last, die Jesus auferlegt wurde, ist viel zu schwer. Seine Kraft schwindet. Er bricht zusammen und fällt zum zweiten Mal. Er liegt auf dem Boden – erschöpft und kraftlos. Die Situation scheint aussichtslos. Er schafft es nicht mehr weiter. Oder doch?
Jesus blickt Richtung Himmel und steht auf. Er gibt nicht auf. Er vertraut auf Gott. Gott gibt ihm die Kraft, seinen Weg weiterzugehen.
Damit zeigt er uns, wie wichtig es ist, nach jedem Sturz wieder aufzustehen und auf Gottes stärkende Hilfe zu vertrauen.

Gebet
Guter Gott,
steh uns bei, wenn uns alles zu viel wird.
Schenke uns Kraft und Zuversicht.
Schenke uns ein Feuerlicht, das uns leuchtet.
Sei du selbst immer wieder neu unser Halt,
damit wir voll Vertrauen sagen können:
Dein Wille geschehe.

Wolfgang Metz (gekürzt)

8. Station: Jesus begegnet den weinenden Frauen

(vorbereitet von: Helga Kaiserseder)

Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.
Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

Bibelvers (Lk 23,27- 28)
Es folgte eine große Menschenmenge, darunter auch Frauen, die um ihn klagten und weinten. Jesus wandte sich zu ihnen um und sagte: Ihr Frauen von Jerusalem, weint nicht über mich; weint über euch und eure Kinder!

Gedanken
Jesus, auf deinem langen, schwierigen Weg – endlich ein Zeichen des Mitleids. Es sind Frauen, die dich zu beweinen wagen, Jesus, dich als ihren Meister und Retter. Du hattest ihnen Anerkennung und Achtung erwiesen, hattest sie geliebt, niemals geringgeschätzt in ihrem Frausein. Du hattest zu ihnen vom Gottesreich gesprochen. Und noch jetzt wendest du dich ihnen zu und sagst: „Weint nicht über mich, sondern über euch und eure Kinder!“

Meditation
Jesus, wir fühlen uns den weinenden Frauen am Kreuzweg sehr nahe.
Weinen und Trauer können heilsam sein, wenn sie uns nicht verhärten, sondern reinigend wirken
und vom Warum zum Wozu führen.
Auch sie mussten von der Frage nach dem Warum langsam zum Wozu kommen. Stärke uns in dieser Weitsicht des Gottvertrauens, wenn wir machtlos sind und mitansehen müssen, wie unsere Kinder ins Unglück rennen, wie ein Nahestehender sein Kreuz nicht mehr tragen kann, wenn eine plötzliche
Krankheit uns aus der Bahn wirft oder ein Todesfall eintritt, wenn alles anders kommt als erhofft und erwartet!
Jesus, schenke uns dann Menschen, die mit uns weinen und uns beistehen. Schenke uns ein offenes Herz und eine helfende Hand für die Nöte und Ängste dieser Tage und hilf uns, durch deine Geistkraft unseren Mitmenschen Zuversicht und Hoffnung zu geben. Jesus, lass uns immer deinen Blick suchen, der uns aufrichtet und stärkt und uns nie allein lässt auf unserem Weg!
Herr Jesus Christus, wir bitten dich: Erbarme dich über uns und über die ganze Welt.

9. Station: Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz

(vorbereitet von: Walter Zorn)

Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.
Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

Bibelvers (Ps 35, 15ab)
Doch als ich stürzte, freuten sie sich und taten sich zusammen. Sie taten sich gegen mich zusammen wie Schläger, die ich nicht kenne.

Gedanken
„Hochmut kommt vor dem Fall“ lautet ein gängiges Sprichwort. Es gibt aber noch ein anderes: „Wer den Schaden hat, hat den Spott.“ Wie oft sind Menschen der Schadenfreude ausgesetzt. Meist schmerzt dies mehr als das erfahrene Leid selbst. Der Hohn, das Zischeln und Gerede, der Genuss des Missgeschicks des anderen verletzen, bringen einen vielleicht zu Fall. Aufrechter Gang scheint unmöglich geworden; sogar das Aufstehen wird schwer.

Meditation
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

Rainer Maria Rilke, Herbstgedicht

10. Station: Jesus wird seiner Kleider beraubt

(vorbereitet von: Marlene Haunold)

Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.
Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

Bibelvers (Joh 19, 23-24)
Nachdem die Soldaten Jesus ans Kreuz geschlagen hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile daraus, für jeden Soldaten einen. Sie nahmen auch sein Untergewand, das von oben her ganz durchgewebt und ohne Naht war. Sie sagten zueinander: Wir wollen es nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte sich das Schriftwort erfüllen: Sie verteilten meine Kleider unter sich und warfen das Los um mein Gewand.

Gedanken
Jesus wird seiner Kleidung beraubt. Sein nackter geschundener Körper wird zur Schau gestellt, seine zahlreichen Wunden beginnen wieder zu bluten.
Bloßstellen – nackt sein – den sensationsgierigen Blicken der gaffenden Meute ausgeliefert. Wie oft stellen wir andere bloß, zeigen mit dem (virtuellen) Finger auf sie, machen uns über sie lustig, ohne darüber nachzudenken, wie sehr wir sie damit verletzen und demütigen?
Auch wenn wir nicht immer die Täter sind, so sind wir doch die Zuschauenden, die Anheizer, die Claqueure. Der andere bleibt zurück mit Wunden, oft klaffend und blutend, die irgendwann einmal zu Narben werden. Narben auf der Seele. Allein.

Meditation
Gott, auf den ich alles setzte
mein Tun, mein Leben: Warum hast du mich verlassen?
Gott, ich suche dich
in meinem Scheitern, meiner Verzweiflung.
Gott, wo bist du?
Warum verbirgst du dich? Wo ist deine Barmherzigkeit?
Gott, ich spüre dich nicht mehr!
Hast du dich von mir abgewandt? Ich falle in unendliche Tiefen.
Gott, hole mich zurück
aus meiner Dunkelheit, meiner Verlorenheit!
Gott, steh mir bei
in dunklen Stunden meines Lebens.

Gisela Baltes 

11. Station: Jesus wird an das Kreuz genagelt

(vorbereitet von: Gerhard Strauss)

Bibelvers (Jes 53,5)
Er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt.

Gedanken
Die Freiheit des einzelnen Menschen ist in unserer Gesellschaft ein hohes Gut. Selbstbestimmt leben, oft ohne Rücksicht auf andere Menschen, ist heute leider im Vormarsch. Es gibt jedoch viele Situationen im Leben, denen wir nicht ausweichen können. Da sind wir wie festgenagelt. Viele von uns erleben unfreiwillige Schicksalsschläge, die sie für eine Zeit oder sogar ein Leben lang ungewollt festnageln.
Gott wird Mensch und lässt es zu, dass er von anderen Menschen ans Kreuz genagelt und gekreuzigt wird. Er nimmt dieses Leiden auf sich, damit wir erlöst werden, wenn wir es wollen und an ihn glauben.

Meditation
Ich bin bei Dir in dieser schweren Stunde,
wo das Leiden wie ein Nagel das Herz durchbohrt.
Ich bin bei Dir an diesem ungewohnten Ort,
wo der Tod sich schwer aufrichtet wie ein Kreuz.
Ich bin bei Dir unter einem finsteren Himmel,
jenseits dessen das unmerkliche Licht wie eine
Krone Deine Herrlichkeit vorwegnimmt.
Ich bin bei Dir, wenn die Angst und der Schweiß
mich die Kälte der Welt spüren lassen.
Ich bin bei Dir, zwischen Hoffnung und Schmerz,
weil ich wie ein Jünger an ein Leben nach dem Tod glaube.
Amen.

nach Franz Jägerstätter

12. Station: Jesus stirbt am Kreuz

(vorbereitet von: Kaplan Julian Anton Heissenberger)

Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.
Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

Bibelvers (Lk 23,46)
Und Jesus rief mit lauter Stimme: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. Mit diesen Worten hauchte er den Geist aus.

Gedanken
Jesu letzte Stunde ist gekommen. Ein bewegtes Leben geht zu Ende. Dies ist der Moment, in dem sich in besonderer Weise die Liebe Gottes zu uns Menschen zeigt: Jesus gibt sich hin, er nimmt den Tod auf sich für uns alle, für unser Leben. Er setzt sich für unsere Befreiung ein, durch ihn leuchtet die Gnade auf, die uns trägt, stärkt, ermutigt und belebt. Aus seiner durchbohrten Seite fließen lebendiges Wasser und Blut, das ist der Preis für unsere Freiheit.
Mit dem Blick zum Kreuz wird uns bewusst: In unserer letzten Stunde wird es finster um uns werden, was uns im Leben bewegte wird erstarren, was wir für die Zukunft ersehnt haben, rückt in unerreichbare Ferne. Das einzige, was in dieser Stunde bleiben wird, ist das Kreuz, welches hinüberreicht in das Paradies. Jesus gedenke meiner, nimm mich in dieser Stunde bei dir auf.

Gebet
Jesus, dein Tod ist für uns das Tor zum ewigen Leben. Du hast uns vorgelebt, wie sehr wir deinem Vater in der Todesangst vertrauen dürfen. Du bist die Quelle, aus der Gott strömt und aus der wir Gottes Kraft für unsere täglichen Entscheidungen schöpfen können. Mach uns bereit und fähig, in der anbetenden Hingabe ein Zeichen der liebenden Gegenwart Gottes in der Welt zu sein.

13. Station: Jesus wird vom Kreuz abgenommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt

(vorbereitet von: Laura Tschida)

Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.
Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

Bibelvers (Röm 8,18)
Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll.

Gedanken
Wir fragen uns: Wozu gibt es das Leid auf dieser Welt? Straft uns Gott für unsere Sünden?
Nein, Gott straft nicht, da er unendlich gut ist, aber er lässt das Leid zu, um uns von unserer Hartherzigkeit zu befreien. Wir Menschen fügen uns selber gegenseitig Leid zu durch unser Herz aus Stein. In der Not aber verändert sich unser Blick auf uns und die Welt. In der Not kommen wir Gott näher.
Auch Maria war unendlich traurig, dass ihr Sohn Jesus am Kreuz gestorben ist. Obwohl sie die Wege Gottes als Mensch sicher nicht ganz verstehen konnte, hat sie Jesus vollends vertraut und ist ihm bis unters Kreuz treu gefolgt. Auch wir sollten in dieser Krisenzeit hoffnungsvoll darauf vertrauen, dass alles in Gottes unendlichen Plan passt und alle seine Wege gut sind.
Folgen wir Marias Beispiel auch im Vertrauen in unsere Kinder. Stehen wir ihnen auch auf Irrwegen bei und beten wir dafür, dass Gott seine Pläne des Heils mit ihnen verwirklichen kann.

Gebet
Liebe Mutter Gottes, du bist auch unsere Mutter. Wie Jesus sterben wir im Alltag auch viele Tode. Wir fühlen uns oft von Menschen verlassen, verraten, gedemütigt, bloßgestellt.
Tröste uns in unseren Nöten und hilf uns, unseren Blick auf Jesus zu richten und ihm ganz zu vertrauen. Nach deinem Vorbild wollen wir Jesus mit Mut und Entschlossenheit jederzeit nachfolgen.

14. Station: Der heilige Leichnam Jesu wird in das Grab gelegt

(vorbereitet von: Peter Goldenits)

Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.
Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

Bibelvers (Joh 19, 41-42)
An dem Ort, wo man ihn gekreuzigt hatte, war ein Garten, und in dem Garten war ein neues Grab, in dem noch niemand bestattet worden war. Wegen des Rüsttages der Juden und weil das Grab in der Nähe lag, setzten sie Jesus dort bei.

Gedanken
Wir denken an alle, die vor den Gräbern ihrer Liebsten stehen – mit einem verwundeten Herzen und vielen offenen Fragen. Gerade in Zeiten der Corona-Krise erleben viel zu viele Menschen dieses Leid, stehen am Grab ihrer Verwandten und Familienangehörigen und können nicht fassen, was geschehen ist. Beten wir für alle, die in dieser Krise einen lieben Menschen verloren haben!

Gebet
Herr, Du Gott des Lebens, betroffen
von der Corona-Epidemie kommen wir zu Dir.
Wir beten für alle, deren Alltag jetzt massiv belastet ist und bitten um Heilung für alle Erkrankten.
Sei den Leidenden nahe, besonders den Sterbenden.
Tröste jene, die jetzt trauern, weil sie Tote zu beklagen haben.
Schenke den Ärzten und Forschern Weisheit und Energie,
und allen Pflegenden Kraft in ihrer extremen Belastung.
Gib den politisch Verantwortlichen Klarheit für richtige Entscheidungen.
Dankbar beten wir für alle, die mit ihren vielfältigen Diensten
die Versorgung und Sicherheit unseres Landes aufrechterhalten.
Heiliger Geist, tröste die alten und pflegebedürftigen Menschen,
berühre sie mit Deiner Sanftheit und gib ihnen die Gewissheit,
dass wir trotz allem miteinander verbunden sind.
Guter Gott, mache uns dankbar für jeden Tag, den wir gesund verbringen.
Gemeinsam und im Vertrauen auf Deine Hilfe werden wir die Krise bestehen.
Jesus, Deine Gegenwart vertreibt jede Furcht, sie schenkt Zuversicht
und macht uns offen füreinander – aufmerksam und achtsam.
Jesus, wir vertrauen auf Dich!
Amen.

Bischof Hermann Glettler (gekürzt)

Abschluss

(vorbereitet von Pfarrer Michael Wüger)

Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung.

Barmherziger Gott,
du hast durch deinen Sohn dem Tod die Macht genommen.
Aus Liebe zur Welt und zu uns Menschen hat er
Kreuz, Leid und Schmach auf sich genommen.
Doch das Grab hält ihn nicht.
In seiner Auferstehung führt er uns
von der Dunkelheit des Todes zum Licht des Lebens.
Er geht alle Weg mit uns mit.
Seine Liebe vergisst uns nicht.
Sie ist stärker als der Tod.
Lass uns tief in seiner Liebe verwurzelt sein.
Lass uns die nicht vergessen,
die unsere Fürsorge, Hilfe und Liebe brauchen.
Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.
Amen.