Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter in den heutigen Tagen

 

Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Oder wie wäre das heut zutage?

 

Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho, aber weil gerade die Wirtschaftskrise war, seine Firma sich um das Steigen der Aktien Sorgen machen musste und weil er gerade länger im Krankenstand war, wurde er gekündigt. Ohne den Arbeitsplatz konnte er die Schulden, die am Haus lagen, nicht zurückzahlen und unglücklicherweise ist seine Ehe auseinander gegangen. Das Haus wurde weggenommen, die Frau und die Kinder gingen davon und er blieb auf der Straße halbtot liegen.

 

Zufällig (was ist schon zufällig?) kam ein Priester denselben Weg herab. Die alttestamentlichen Priester waren schon hohe Persönlichkeiten. Er sah den Halbtoten liegen, blieb aber nicht stehen. Zu Hause angekommen, rief er den Hohenrat zusammen und beriet mit ihnen, wie sie dem Halbtoten auf der Straße helfen könnten. Manche meinten, sie könnten eine neue Enzyklika über die Nächstenliebe verfassen, andere wollten eher ein Jahr der Hilfe für den Halbtoten ausrufen. Sie verwirklichten ihre Ideen und ließen dafür Folder und Plakate von Spitzengrafikern machen, organisierten für den Halbtoten Anbetungen und Novenen. Der Halbtote blieb auf der Straße liegen.

 

Auch ein Levit kam zu der Stelle. Auch er arbeitete in der Kirche sehr engagiert. Er sah den Halbtoten und ging weiter. Er dachte, da könnte man einen Event organisieren. Der Halbtote auf der Straße wäre sicher ein gutes Thema. Er stellte eine Arbeitsgruppe zusammen und bereitete einen großen Event vor, der vor allem Jugendliche mobilisieren sollte. Der großartig vorbereitete Event mit einem High-Tech-Gottesdienst verlief sehr gut, wurde gut besucht. Alle waren beeindruckt. Der Halbtote blieb auf der Straße liegen.      

 

Da kam ein Mann aus Samarien. Seine erste Ehe ging auseinander, er ist jetzt ein zweites Mal verheiratet. Natürlich nur standesamtlich. Oder ging seine Ehe wegen seiner Homosexualität in die Brüche und er lebt jetzt mit seinem Freund zusammen? Ich weiß es nicht mehr genau. Auf alle Fälle bekam er bei der Beichte keine Lossprechung, die Kommunion wurde ihm verweigert, sein Lektorendienst wurde ihm entzogen. Man sagte zu ihm, dass er das nicht als Diskriminierung verstehen sollte, dass ihm die Kirche große Aufmerksamkeit widme, aber im Praktischen spürte er nicht viel davon. Er dachte nicht viel nach und aufgrund seiner christlichen Überzeugung hatte er Mitleid mit dem Halbtoten, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. Am andern Morgen holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: „Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.“

 

Oder hat das Jesus anders gemeint?

Gern tausche ich mit euch Gedanken über diesen Text.

Wünsche euch allen eine schöne, gesegnete Zeit.

 

 

Gabriel

Pfarrer

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