Russlanddeutscher, Student und kommunistischer Agitator, evangelischer Missionar

Widersprüchlicher kann diese Überschrift nicht sein, aber sie ist gelebte Realität. Mit diesem spannenden Thema begannen wir am 16.Oktober das neue Themenabendjahr, welches nach wie vor als ökumenische Veranstaltung an jedem 3. Montag im Monat stattfindet. Es stellte der ehemalige Russlanddeutsche, Prof. Dr. J. Reimer, seinen Lebensweg vom atheistischen Wissenschaftler zum gläubigen und missionierenden Christen vor.

 

Seine Eltern, bereits gebürtige Russlanddeutsche, bis 1941 in einer deutschen Kolonie am Kaukasus lebend, wurden im Zuge der Kriegswirren von Stalin in einen Gulag nach Sibirien verbannt und lebten dort ungefähr 3 Jahre unter haftähnlichen Bedingungen. Unter schwierigsten Umständen gelang ihnen die Flucht in die Wüste Karakum, die nach Stalins Wünschen urbar gemacht werden sollte. An diesem Projekt konnten sich die Familie beteiligen. Einige Jahre nach Kriegsende gelang ihnen die Auswanderung in die damalige Sowjetrepublik Estland, wo 1956 unser Referent geboren wurde.

 

 

Der Vater entstammte einer alten, evangelischen Familie, aus der Pfarrer und Superintendenten hervor gingen. Der Sohn wurde jedoch atheistisch erzogen, da der Vater dem Sohn das Leid ersparen wollte, welches er wegen seines Glaubens zur Sowjetzeit durchleben musste. Der Junge fiel durch seine guten schulischen Leistungen auf und wurde vom Staat mit der Absicht gefördert, später einmal im System eine entsprechende Stelle bekleiden zu können.

Nach Beendigung der Schule wurde er Student an der berühmten Leningrader Universität (heute St. Petersburg), wo er auch Frau Bundeskanzlerin a. D. Dr. Merkel kennenlernte. Er wurde neben dem Studium der Physik und Mathematik als Agitator in den deutschen Exklaven eingesetzt, um die dort lebenden Baptisten auf den Weg des Kommunismus zu führen. Gleich am Anfang dieser Diskussionen wurde er gefragt, ob er überhaupt die Bibel kenne. Das musste er verneinen und die Baptisten machten ihm klar, dass er über etwas spricht, das ihm unbekannt ist. Diese Aussage war für J. Reimer Anlass, sich mit der Bibel auseinander zusetzen. Folglich ging er in die Bibliothek der Universität und wünschte dieses Buch. Das wurde ihm mit der Begründung verwehrt, dass dieses für die Ausleihe gesperrt sei. Nicht nur in dieser Bibliothek erhielt er diese Antwort, sondern in allen anderen der Stadt ebenso, obwohl er dazu sehr gute Argumente hatte. Dazu muss man wissen, dass damals in der Sowjetunion der Besitz einer Bibel verboten war. Kapitulierend ging er erneut zu den Baptisten und gestand ihnen seine missliche Lage. Da zog einer der Anwesenden ein Neues Testament aus seiner Tasche und bot ihm unter entsprechender Vorsicht an, dieses ihm zu leihen.

In kürzester Zeit las er das Buch und erkannt, dass das, was ihm bisher vom Christentum, speziell von Jesus erzählt wurde, absolut falsch ist. Er kam ins Zweifeln, trug diese der Direktion der Universität mit dem Ergebnis vor, dass er exmatrikuliert und in einen Gulag zur Umerziehung deportiert wurde. Diese gelang nicht, sein Glaube wurde im Gespräche mit anderen fester. 1976 wurde er mit den Eltern des Landes verwiesen und kam in Deutschland im Lager Friedland an. Nun baute er sein Wissen zum christlichen Glauben an Universitäten in Südafrika und USA weiter aus, promovierte und erhielt im Ergebnis eine Professur für Evangelisation.

Schon während dieser Zeit besuchte er die osteuropäischen Länder und unterstütze die verfolgten christlichen Gemeinden mit christlichem Schriftgut, insbesondere mit Bibeln. Das war generell nur auf sehr abenteuerlichen Wegen möglich. Nach Ablauf der Einreisesperrfrist für die Sowjetunion konnte er auch dieses Land wieder besuchen und dort seine missiona-rische Arbeit fortsetzen. Anschaulich schilderte er seine dabei gemachten Erfahrungen und die oftmals unvorstellbaren Erlebnisse.

Ähnliches wird uns am kommenden Themenabend am 20.11.23 unser katholischer Stadtpfarre Gabriel Kozuch von der vom Kommunismus verfolgten Kirche in der Slowakei, damals noch Tschechoslowakei, berichten. Sein Vater, eigentlich Arzt, wirkte damals als katholischer Pfarrer im Untergrund, eine sehr gefährliche Mission, denn täglich konnte die tschechoslowakische Stasi vor der Tür stehen. Die dann eintretenden, schrecklichen Folgen sollten jedem bewusst sein.


(Werner Hermeling)