Evangelium Lukas 16, 19-31

In jener Zeit sprach Jesus zu den Pharisäern: Es war einmal ein reicher Mann, der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag für Tag glanzvolle Feste feierte.
Vor der Tür des Reichen aber lag ein armer Mann namens Lazarus, dessen Leib voller Geschwüre war.
Er hätte gern seinen Hunger mit dem gestillt, was vom Tisch des Reichen herunterfiel. Stattdessen kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren.
Es geschah aber: Der Arme starb und wurde von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Auch der Reiche starb und wurde begraben.
In der Unterwelt, wo er qualvolle Schmerzen litt, blickte er auf und sah von Weitem Abraham und Lazarus in seinem Schoß.
Da rief er: Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir und schick Lazarus; er soll die Spitze seines Fingers ins Wasser tauchen und mir die Zunge kühlen, denn ich leide große Qual in diesem Feuer.
Abraham erwiderte: Mein Kind, erinnere dich daran, dass du schon zu Lebzeiten deine Wohltaten erhalten hast, Lazarus dagegen nur Schlechtes. Jetzt wird er hier getröstet, du aber leidest große Qual.
Außerdem ist zwischen uns und euch ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund, sodass niemand von hier zu euch oder von dort zu uns kommen kann, selbst wenn er wollte.
Da sagte der Reiche: Dann bitte ich dich, Vater, schick ihn in das Haus meines Vaters!
Denn ich habe noch fünf Brüder. Er soll sie warnen, damit nicht auch sie an diesen Ort der Qual kommen.
Abraham aber sagte: Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören.
Er erwiderte: Nein, Vater Abraham, aber wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie umkehren.
Darauf sagte Abraham zu ihm: Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.

Etty Hillesum (geboren am 15. Januar 1914; gestorben am 30. November 1943 im KZ Auschwitz-Birkenau) war eine niederländische jüdische Intellektuelle. Sie führte in den Jahren 1941 bis 1943 ein Tagebuch und hinterließ Briefe, in denen sich ihre menschliche und spirituelle Entwicklung unter den Bedingungen von Krieg und Verfolgung widerspiegelt.

Etty Hillesum – „Sonntag – Morgengebet“

Es sind beängstigte Zeiten, mein Gott.

Heute Nacht lag ich zum ersten Mal,

mit brennenden Augen schlaflos im Dunkeln und

viele Bilder menschlichen Leidens zogen an mir vorbei.

Ich werde dir eines versprechen,

Gott, aber nur eine Kleinigkeit:

ich werde meine Sorgen nicht

wie beschwerende Gewichte an die Gegenwart hängen, …

 

Ich werde dir helfen, Gott,

dass du nicht in mir zugrunde gehst,

aber ich kann im Voraus für nichts garantieren.

Aber eines wird mir immer klarer:

dass du uns nicht helfen kannst,

sondern, dass wir dir helfen müssen,

und dadurch helfen wir uns selbst.

Und das ist das einzige,

was wir in dieser Zeit gewahren können,

und auch das Einzige, auf das es ankommt:

ein kleines Stück von dir in uns selbst, Gott. …

 

Ich werde in naher Zukunft noch sehr viele Gespräche mit dir führen und

dich auf diese Weise daran hindern, vor mir zu fliehen.“

 

Etty Hillesum – „Sonntag – Morgengebet“

Der „Arme Lazarus“ steht hier stellvertretend für die Vielen, die ein solches oder ähnliches Schicksal, wie das von Etty Hillersum ereilte.

Er ist vom „guten Leben“ ausgesperrt, vor die Hunde gegangen, dem Tod überlassen durch einen, der die Macht aufgrund seines Reichtums hatte, das so und nicht anders zu entscheiden.  (Gleich den Despoten und deren Schergen unserer Tage ….)

 

„Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören,

werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.“

 

Warum greift Gott nicht ein? „Lazarus“ heißt doch übersetzt: Gott hat geholfen.

Tut er das nicht? – Fehlt es an uns?

Gerechtigkeit braucht einen Hauch von Liebe dazu, dann reift Barmherzigkeit.

Das gilt für alle – sowohl als Gebende wie als Nehmende.

 

„Und das ist das einzige, was wir in dieser Zeit gewahren können,

und auch das Einzige, auf das es ankommt:

ein kleines Stück von dir in uns selbst, Gott. …“

 

Suchen wir dieses kleine Stück in uns selbst. Jetzt.

 

“Ein anziehendes Bild lässt die Botschaft als etwas empfinden, das (…) mit dem eigenen Leben in Verbindung gebracht wird.”

Papst Franziskus in Evangelii Gaudium, 157, 24.11.2013

(Franziska Klein)