
Mein Zugang zur Bibel
Ich bin dankbar dafür, dass uns unsere Eltern die Bibel bereits in der Kindheit schmackhaft und bekannt gemacht haben. Vor allem mein Vater hat uns daraus öfter verschiedene Erzählungen vorgelesen. Ich möchte das auch den heutigen Eltern ans Herz legen. Lest oder erzählt euren Kindern manche Bibelerzählungen und redet mit ihnen darüber. Wenn ich dann als Kind die eine oder andere Erzählung in der Kirche gehört habe, war ich stolz, dass ich sie schon gekannt habe. Als Kind waren die Erzählungen für mich interessant, manche habe ich irgendwie seltsam erlebt, andere haben in mir Fragen aufgeworfen, auf die ich erst während meines Lebens Antworten gefunden habe, oder noch immer suche.
Als ich dann in der Volksschule war, habe ich nicht verstanden, als öfter die Eltern gesagt haben, nachdem wir zu Hause aus der Bibel gelesen haben: „Aber erzähle niemandem davon in der Schule.“ Ich habe damals nicht verstanden, dass die kommunistischen Genossen damals die religiöse Erziehung nicht gutgeheißen haben.
In meiner Jugend war mir die Bibel auch nicht fremd, aber da habe ich mehr reflektiert, wollte nicht alles so hinnehmen. Gestört haben mich vor allem die Wunder. Ich dachte damals: schön, dass Jesus einem Taubstummen das Gehör und die Sprache zurückgegeben hat, oder den Blinden wieder sehend gemacht hat, aber das hilft den vielen Tausenden Blinden oder Taubstummen nicht.
Geholfen haben mir da manche Bücher und Gespräche, die mich damals geprägt haben. Und dadurch auch ein neuer Zugang zur Bibel, der für mich bis heute eine wichtige Kraftquelle ist, eine tolle Beziehung, die Beziehung Gottes zu mir zu erleben. Für mich sind die Aussagen in der Bibel zuerst Glaubensaussagen, die über die Heilsgeschichte Gottes, über die Beziehung Gottes zu uns durch oft sehr bildhafte und symbolische Sprache sprechen. Wenn ich einen biblischen Text lese, steht für mich nicht die Frage im Vordergrund, ob es damals so wirklich war, sondern, was möchte dieser Text heute im 21. Jahrhundert mir sagen. Was bedeutet er für mich persönlich, für meinen Lebensweg?
Der „Sitz im Leben“ der biblischen Texte kann sehr unterschiedlich sein. Zum Beispiel, der Hirte war für die damaligen Menschen in der Zeit Jesu in Palästina ein tagtägliches Bild, etwas, was sie gut gekannt haben und jeden Tag gesehen haben. Wenn heute jemand zu mir sagt: „Du bist ein guter Hirte“, denke ich mir: hoffentlich nicht. Denn der Hirte ist in der heutigen Zeit ein Relikt aus der Vergangenheit, jemand, den die meisten von uns noch nie gesehen haben und irgendwo in der Wildnis der Berge mit seinen Schafen lebt.
Oder wenn die Bibel berichtet, dass Jesus einen Blinden geheilt hat und er wieder sehen konnte, ist für mich nicht wichtig, ob es wirklich so war, sondern, dass die Beziehung zu Jesus eine neue Sehkraft ermöglicht, dass ich als gläubiger Mensch mehr sehen und staunen kann, dass ich „das Wesentliche nur mit dem Herzen sehen kann“ (Exupery) und dadurch viele Wunder in meinem eigenen Leben entdecken und darüber staunen kann.
Wie geht’s euch beim Lesen der Bibel?
Pfarrer